Im Zerrspiegel. Daniele Gansers Darstellung der Kriege in Kroatien und Bosnien, 1991–1995
Im Buch «Illegale Kriege» (2016) führt der Basler Autor Daniele Ganser seine Leserinnen und Leser durch ein gutes Dutzend der Konflikte, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Welt bewegten: Der ‘Regime Change’ im Iran von 1953 – wo Ganser einen Putsch in einen «Krieg» uminterpretiert –, die Suez-Krise 1956, das Blutvergiessen in Nicaragua in den 1980er Jahren und die Kriege im ehemaligen Jugoslawien der 1990er Jahre beispielsweise handelt der promovierte Historiker auf jeweils zehn bis dreissig Seiten ab. Bei der Frage, wer die Hauptschuld an den Konflikten trug, kommt Ganser stets zu so ähnlichen wie eindeutigen Resultaten. Die treibenden Kräfte, die auf die Destabilisierung scheinbar intakter Staatsgebilde hinwirkten, sind in «Illegale Kriege» stets dieselben: Aktivitäten der USA, manchmal auch anderer westlicher Staaten. Gemäss Ganser lösten die Vereinigten Staaten Konflikte erst aus – das «Imperium USA» zettele Kriege an, um seine weltweite Vormachtstellung zu sichern.
Je nach Fallstudie überzeugt diese Argumentationslinie mal mehr, meistens aber weniger. Während beispielsweise der Putsch gegen den iranischen Ministerpräsidenten Mohammad Mossadegh im Jahre 1953 tatsächlich auf die Operation Ajax der CIA und des britischen Geheimdiensts MI6 zurückgeführt werden kann, wirkt Gansers Argumentation andernorts konstruiert, gesucht und von einer massiven Unkenntnis grundlegender Fakten geprägt. Das trifft besonders auf seine Auseinandersetzung mit den Kriegen in Kroatien und Bosnien zu, die zwischen 1991 und 1995 ungefähr 110.000 Menschen das Leben kosteten.
Dem Zerfall des multiethnischen Jugoslawiens und den Kriegen in Kroatien und Bosnien widmet Ganser insgesamt nur zwölf Seiten, auf die es sich aber angesichts der hohen Auflage und mehrfachen Übersetzung von «Illegale Kriege» einen genauen Blick zu werfen lohnt.
Das ehemalige Jugoslawien zerfiel zwischen 1991 und 2008 in insgesamt sieben Staaten.
(Wikimedia Commons)
Westliche Schachspieler, jugoslawische Schachfiguren
«Das US-Imperium spaltet Jugoslawien». So fasst Daniele Ganser das Ende des Vielvölkerstaats zusammen. Die USA hätten bestehende Spannungen zwischen Kroaten, Serben und bosnischen Muslimen genutzt, um das Land in den Abgrund zu treiben: «Es war für die USA einfach, den Vielvölkerstaat Jugoslawien zu zerschlagen, weil zwischen den verschiedenen Gruppen historische Rivalitäten und Spannungen bestanden, die ausgenutzt und intensiviert werden konnten.» Die «Zerschlagung» Jugoslawiens durch die USA sei im Stillen erfolgt, von vielen Europäern unbemerkt.
Gansers These der Auflösung durch externe Einflussnahme ist problematisch, weil sie die Handlungsmacht der Jugoslawinnen und Jugoslawen in weiten Teilen in Abrede stellt: USA und CIA zogen die Fäden, manipulierten, und den Objekten dieser Politik – also den Menschen vor Ort, die letztlich die tausenden Entscheidungen fällten, die ins Blutbad führten – blieb nur die Rolle der Reagierenden. Ganser entlässt sie damit teilweise aus ihrer Schuld.
Magere Recherchen
Für die These, die Aktivitäten der CIA seien der entscheidende Brandbeschleuniger gewesen, führt Ganser genau eine Quelle an: Die Aussagen des ehemaligen CIA-Mitarbeiters Robert Baer. Er berichtete über die zweifelsohne erfolgte US-amerikanische Einflussnahme in den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien. Seinen ehemaligen Arbeitgeber, die CIA, hält Baer offensichtlich für allmächtig. Diese Ansicht ist wohl eher seiner persönlichen Laufbahn denn einer seriösen Analyse der Vorgänge im ehemaligen Jugoslawien geschuldet.
Baers These der Zerschlagung Jugoslawiens durch US-amerikanische Gelder, Waffenlieferungen und Geheimaktionen übernimmt Ganser unkritisch und uneingeschränkt. Die zahllosen minutiösen Recherchen von Politologinnen und Historikern, die sich in den letzten gut zwanzig Jahren mit dem Zerfall des Landes auseinandersetzen, ignoriert der Basler Buchautor hingegen vollständig: Er berücksichtigt den Stand der wissenschaftlichen Aufarbeitung nicht nachlässig, sondern verzichtet vollends auf Fachliteratur. Die Erinnerungen eines CIA-Agenten scheinen ihm auszureichen, um den Zerfall Jugoslawiens zu erklären.
Hätte Ganser für sein Buch seriös recherchiert, wäre er auf andere Erklärungsansätze gestossen. Er hätte erfahren, dass Jugoslawien nicht durch ein amerikanisches Zündhölzchen explodierte, sondern der Kompetenzverlust landesweiter Institutionen spätestens mit den Wirtschaftsreformen von 1965 und der neuen Verfassung von 1974 begann. Wirtschafts- und Verfassungsreform entzogen dem jugoslawischen Gesamtstaat Kompetenzen und konzentrierten immer mehr Macht in den Händen der einzelnen Republiken. Dies ging so weit, dass selbst das Militär nicht mehr vollständig jugoslawisch war – jede Teilrepublik hatte seit 1969 parallel zur gesamtstaatlichen jugoslawischen Armee (JNA) eine eigene „Territorialverteidigung“ (TO).
Auch die Wirtschaft wurde der Logik der Teilrepubliken unterworfen. Die verschärften Verteilkämpfe um Fördergelder und Steuern verstetigten das Denken entlang von Republikgrenzen. Man war also immer weniger Jugoslawin, aber immer mehr Kroatin, Serbin oder Kosovarin. Die Wirtschaftskrise der 1980er Jahre und der Autoritätsverlust des BdKJ, der Partei des 1980 verstorbenen Josip Broz Tito, verstärkten diese Verteilkämpfe und machten das Argumentieren in der Logik der Teilrepublik immer salonfähiger. Zeitgleich verloren die Fürsprecher des Gesamtstaats an Boden.
Das Denken von Ganser und Baer interessiert sich nicht für diese innenpolitischen Aspekte des jugoslawischen Zerfalls. Es zappt erst Ende der späten 1980er Jahren in das jugoslawische Drama und stellt westliche Akteure ins Zentrum. Dabei verlieren Baer und Ganser die Protagonisten der jugoslawischen Selbstauflösung aus dem Blick. Diese tätigten ihre Entscheidungen selbst und nicht unter Druck der CIA: Politiker der Teilrepubliken, die neuen, national orientierten Parteien, Kriegsverbrecher auf allen Seiten, Vertreter der Religionsgemeinschaften und letztlich die sogenannten ‚einfachen Leute‘, die das Morden ausführten, trugen gleichsam zum Zerfall des Staates Jugoslawien bei.
NATO-Bombardements und die Belagerung von Sarajevo
Noch bedenklicher werden die Ausführungen Gansers, wenn es um die sensibelsten Themen des Bosnienkriegs geht. «Die NATO bombardiert Bosnien im Mai 1995», so Gansers Untertitel zum NATO-Angriff auf serbische Stellungen bei Sarajevo. Darin führt er aus, dass die NATO nicht an die Warnung von «Beobachtern» — wen Ganser damit meint, bleibt unklar – hielt und serbische Stellungen bei Sarajevo bombardierte. Dazu schreibt er: «Ein Ultimatum der UNO an die bosnischen Serben, die schweren Waffen aus dem Raum Sarajevo abzuziehen und unter UNO-Kontrolle zu stellen, lief am 25. Mai erfolglos ab. Daraufhin begann die NATO auf Aufforderung der USA […] damit, serbische Stellungen in der Nähe von Sarajevo zu bombardieren.»
Belagertes Sarajevo im Winter 1992/1993. Ein Mann sammelt Feuerholz, ein anderer hält wertvolle Brotlaibe in seinen Armen
(Christian Maréchal/Wikicommons).
Mit dieser Aussage enden Gansers Ausführungen zum NATO-Bombardement bei Sarajevo. Während die Beschreibung der Ereignisse korrekt ist, ist vor allem bemerkenswert, was der Autor für nicht erwähnenswert hält. So verschweigt er seinen Leserinnen und Lesern, dass wegen der erwähnten «serbischen Stellungen» die Bevölkerung Sarajevos während 1425 Tagen in der Stadt eingeschlossen war, Hunger litt und zu Tausenden starb: Die Belagerung der bosnischen Metropole kostete gemäss UNO-Schätzungen 11.000 Menschen das Leben, darunter 1600 Kinder. Ganser enthält seiner Leserschaft diese Information vor, obwohl sie für eine freie Meinungsbildung zum NATO-Angriff unverzichtbar ist.
Zahlenspiele mit Srebrenica
Neben der Belagerung Sarajevos ist das Massaker von Srebrenica das dunkelste Kapitel des Bosnienkriegs. Die von Ratko Mladić geführten Truppen bosnischer Serben eroberten die ostbosnische Stadt im Hochsommer des Jahres 1995. Dreihundert unerfahrene und teilweise blutjunge niederländische Blauhelm-Soldaten übergaben die UNO-Schutzzone fast kampflos Mladićs Truppen. Diese verübten in der Folge eine Serie von Massakern an bosnisch-muslimischen Männern und Knaben. Der Massenmord erschütterte die Welt.
Wie bereits beim Zerfall Jugoslawiens, legt Ganser nahe, habe westliches Handeln den entscheidenden Ausschlag für verheerende Entwicklungen gegeben: „Nachdem die NATO die Serben im Mai 1995 [bei Sarajevo, Anm. FF] bombardiert hatte, nahmen die Spannungen zu. Aus Sicht der Serben hatte die NATO den Kampf intensiviert, nun schlugen sie zurück“. Zwar spricht Ganser hier lobenswerterweise nicht als vermeintlich neutraler Beobachter, sondern gibt die Perspektive „der Serben“ wieder – viele Serbinnen und Serben würden dieser Vereinnahmung wohl widersprechen. Doch auch hier wird nahegelegt, dass westliche Akteure die entscheidenden Weichen stellten und den eigentlichen Protagonisten des Bosnienkriegs nur die Rolle der Reagierenden zukam.
„Namenstafel an der Völkermord-Gedenkstätte in Potočari in der Nähe von Srebrenica“
(Michael Büker, Wikimedia Commons).
Die Ausführungen dazu, wie es zum Massaker von Srebrenica kam, sind kümmerlich und mit keiner einzigem Quellenverweis belegt. Auch die wiedergegebene, angeblich von „den Serben“ geteilte Perspektive versieht Ganser mit keinem Nachweis. Noch weitaus zynischer ist jedoch die Diskussion der Opferzahlen von Srebrenica, die der Autor auf sieben Zeilen und mit zwei Nachweisen abhakt. Er führt ins Feld, dass es in dieser Frage zwei Positionen gebe:
Gemäss dem UNO-Kriegsverbrechertribunal wurden 7000 bis 8000 bosnische Muslime in Srebrenica getötet. Gemäss dem Autor Alexander Dorin ist diese Zahl nicht belegt und deutlich zu hoch, die vom US-Imperium gesteuerte Geschichtsschreibung zu Srebrenica habe in erster Linie dazu gedient, die Serben zu diskreditieren.
- Daniele Ganser in „Illegale Kriege“
Die nicht weiter erläuterte Gegenüberstellung von UNO-Bericht und Dorin suggeriert eine Gleichwertigkeit dieser beiden Sichtweisen. Hierin zeigt sich beispielhaft, wie schief die Gewichtung von Quellen in Gansers „Illegale Kriege“ ist.
Hunderte Juristinnen, Forensiker, Historikerinnen und allen voran Zeuginnen und Zeugen trugen mit ihrer Expertise und ihren Erfahrungen zu den Schlussfolgerungen des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) der UNO bei. Die Resultate der UNO-Untersuchung stellt Ganser unkommentiert Dorins Behauptungen gegenüber. Dorin vertritt in seinem Buch „Srebrenica. Wie es wirklich war“ die Ansicht, dass ‚nur’ 2000 bosnisch-muslimische Männer bei Srebrenica gestorben seien – nicht aber in Exekutionen, sondern im Kampfe. Ratko Mladić habe die Zivilbevölkerung rechtzeitig evakuiert.
Dorin macht sich im Gegensatz zum ICTY die Mühe der minutiösen Beweisführung nicht, sondern stellt unfundierte Behauptungen auf. Seine Werke stellen keine Diskussionsbeiträge dar, sondern entsprechen einer Leugnung des Massenmords von Srebrenica. Diese Respektlosigkeit gegenüber Tausenden ziviler Opfer des Massakers stellt Ganser dem UNO-Bericht gegenüber, ohne die unterschiedlichen Quellen in ihrer Glaubwürdigkeit gegeneinander abzuwägen.
Fahrlässig oder bewusst irreführend?
„Illegale Kriege“ strotzt vor Ungenauigkeiten, inhaltlichen Fehlern und skandalösen Auslassungen. Das Buch verfolgt in seiner Darstellung der Kriege in Kroatien und Bosnien zwei Linien.
Zum einen stellt es ‚den Westen’, genauer: Die CIA und die NATO, als die entscheidenden Akteure dar. Die Jugoslawinnen und Jugoslawen erscheinen nur als reagierende, in die Irre geführte und manipulierte Menschen. Darin zeigt sich ein Blick des Autors auf Südosteuropa, der vom Glauben an westliche Allmacht und die beschränkte Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger Jugoslawiens geprägt ist.
Zum anderen zeugen Gansers inhaltliche Auslassungen von einem zynischen Verhältnis zu den Gräueln des Bosnienkriegs. Die fahrlässige oder bewusst irreführende (Nicht-)Darstellung der Gräuel von Sarajevo und Srebrenica legt nahe, dass der Autor nicht nach Wahrheiten sucht, sondern sich die Realität nach dem eigenen Weltbild zurechtbiegt, um hohe Auflagen zu erzielen.
Diskutierter Buchausschnitt in:
Weiterführende Literatur:
Titelbild:
Adam Jones/Wikicommons. Zur Hälfte renovierte Gebäudefassade in Mostar, Bosnien-Herzegowina im Jahr 2007.